120-Städte-Studie: Tankbetrug wird „Volkssport“ / Bereits 90.000 Ermittlungsverfahren

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In immer mehr Bundesländern beginnen zurzeit die großen Sommerferien. Pünktlich dazu steigen die Benzinpreise in die Höhe. An den Tankstellen finden sich dann Fraktionen ein. Die einen sind ehrlich und zahlen ihre Rechnung, die anderen betrügen, weil sie tanken und ohne zu bezahlen das Weite suchen. Wie Deutschlands drittgrößtes Autoportal, auto.de, nun herausfand, eine immer häufiger genutzte Vorgehensweise. Noch nie haben in Deutschland so viele Menschen ihr Fahrzeug betankt und vorsätzlich nicht gezahlt wie 2012. Hier setzt sich ein Trend fort. Von 2011 zu 2012 stieg die Anzahl der Betrugsdelikte um 5,5%. Von 2010 zu 2011 waren es sogar 10%. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr fast 90.000 (89.769) Tankbetrugs-Delikte bei der Polizei angezeigt. Zum zweiten Mal wertete nun Deutschlands drittgrößte KFZ-Börse, auto.de, die Delikte auch auf Stadtebene aus. So wollte auto.de wissen: Wo sind in Deutschland die Tankbetrugs-Hochburgen? Hierfür wurden die Daten für 120 der größten deutschen Städte ausgewertet. Ergebnis: Allein auf sie entfallen über 38.000 Tankbetrugsfälle. In Deutschland gibt es derzeit 16.201 Tankstellen (Quelle: LOGIBALL GmbH, TomTom International B.V. für auto.de). Auf deren Basis wurde die Anzahl der Betrugsfälle pro Tankstelle ausgewertet. So müssen 29% der untersuchten 120 Städte für Tankstellen-Betreiber als „unsicher“ klassifiziert werden. Dies sind also Betrugshochburgen. Weitere Informationen in Tabellen 1 und 2

Klar ist: Je größer und anonymer die Stadt, desto mehr „Spritklau“ im Verhältnis zu den Einwohnern. Unter den Betrugs-Hochburgen befinden sich überdurchschnittlich viele Städte mit 200.000 Einwohnern oder mehr. Zudem gehen auto.de, aber auch der Zentralverband des Tankstellen- und Garagengewerbes (ZTG) davon aus, dass nur rund 20% der Tankbetrugsfälle angezeigt werden, bis zu 80% bleiben noch immer ohne polizeiliche Ermittlungsarbeit. Das liegt unter anderem daran, dass besonders freie Tankstellen kaum über Videoüberwachungssysteme verfügen oder die Betreiber den bürokratischen Aufwand einer Anzeige scheuen. Während die großen Ketten die Kosten von durchschnittlich 15.0000 bis 20.000 € stemmen können, scheuen die kleinen Anbieter die Ausgaben für Videoanlagen. Das heißt: auto.de und der ZTG schätzen, dass es jährlich in Deutschland bis zu 450.000 Tankbetrugsfällen kommt. Der Schaden läge dann statt der offiziell vom Bundeskriminalamt bezifferten 5,85 Mio. € bei über 30 Mio. €. Von den Tankstellenbetreibern war zu hören, dass die Anzahl der Betrugsfälle in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird.

Tankbetrugs-Hochburgen

Studie Tankbetrug: Deutschland-Karte

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Die Studie belegt: Gemessen an der Anzahl der Tankstellen und den bei der Polizei gemeldeten Tankbetrugsfällen, ist Magdeburg die Betrugshauptstadt Nummer eins in Deutschland. Statistisch betrachtet wird jede Magdeburger Tankstelle mindestens 26-mal im Jahr von Tankbetrügern heimgesucht. Damit liegt die Stadt in Sachsen-Anhalt 273% über dem Studiendurchschnitt. Insgesamt verzeichnete die Polizei 344 angezeigte Fälle im Jahr 2012. Im Jahr zuvor waren es auch schon 327 Delikte.

Platz zwei belegt das beschauliche Konstanz. Die Stadt am Bodensee erlebt seit drei Jahren einen rasanten Anstieg der Betrügereien, obwohl günstigere Spritpreise nur einige hundert Meter in der Schweiz zu finden sind. Waren es 2010 nur 55 Delikte, zählte die Polizei im Jahr 2011 bereits 127 und 2012 sogar 146 Tankbetrugsfälle. Das bedeutet einen Anstieg um 165%. Gemessen an der Anzahl der Tankstellen wird jede Station 24-mal im Jahr von Betrügern heimgesucht.

Auf Platz drei folgt die deutsche Hauptstadt. 7.049 Tankstellen-Betrügereien wurden 2012 in Berlin offiziell zur Anzeige gebracht. Berücksichtigt man die Dunkelziffer, dürften in nur einem Jahr ungefähr 35.245-mal Berliner Tankstellenbetreiber um die Kraftstoffbezahlung „geprellt“ worden sein. Werden die offiziellen Betrugswerte je Tankstelle bewertet, verbleiben 23 angezeigte Delikte je Station, beziehungsweise unter Einbeziehung der Dunkelziffer sogar rund 117. Berlin liegt mit den angezeigten Delikten 231% über dem deutschen Städte-Schnitt.

Das bergische Solingen belegt Platz Vier in der Tankbetrugs-Studie. In der Stadt der Messerschleifer wurden 547 Tankbetrugsfälle gemeldet, genauso viele wie im Jahr zuvor. Gemessen an der Tankstellenanzahl, kam es statistisch zu 20 Delikten je Station im Jahr 2012.

Platz Fünf bei den Betrugshochburgen teilen sich Köln und Frankfurt am Main. In beiden Metropolen kam es zu jeweils 17 angezeigten Delikten pro Tankstelle. Von der Anzahl der Betrugsfälle her verzeichnete die rheinische Klüngel-Metropole mit 2.393 Anzeigen aber fast doppelt so viele wie „Mainhattan“ (1.243).

Weitere Sprit-Betrugs-Hochburgen sind Passau* (241 Delikte, 15 Delikte je Tankstelle), Saarbrücken (407 Delikte, 14 je Tankstelle), Gelsenkirchen (564, 14 Delikte je Tankstelle), Baden-Baden (143, 13), Bottrop (218, 13), Leipzig (803, 12), Herne (222, 12), Hamburg (2.639, 11), Wiesbaden (535, 11), Dortmund (1.066, 11), Halle/ Saale (322, 11), Hamm (412, 11), Dresden (593, 10),Oberhausen (359, 11), Essen (763, 10), Düsseldorf (760, 10), Bremen (819, 10), Moers (205, 9), Koblenz (177, 9), Kiel (288, 9), Mannheim (407, 9), Neuss (173, 9), Bochum (534, 9), Flensburg (168, 9), Hannover (725, 9), Rostock (255, 9), Aachen (391, 9), Lübeck (312, 9) oder Würzburg (241 Delikte, 9 Delikte je Tankstelle). Weitere Informationen in Tabelle 3

Ehrliche Tankstellen-Kunden in Heide, Aalen, Celle, Reutlingen, Straubing oder Salzgitter

Ehrliche Kunden finden sich laut der auto.de-Studie wie im vergangenen Jahr in Heide. Dort werden 87% weniger Sprit-Betrügereien begangen als anderswo. In der Stadt in Holstein wird – statistisch betrachtet – jede Tankstelle nur alle 13 Monate mit dem Tatbestand des Tankbetrugs konfrontiert. Vorbildliche Tankstellenkunden finden sich auch in Aalen und Celle. Hier verzeichnete man im Jahr 2012 nur ein Delikt pro Tankstelle. Zwei Vorfälle pro Station gab es in Weiden in der Oberpfalz, Reutlingen, Hildesheim, Straubing, Salzgitter, Fürth, Amberg, Esslingen und Tübingen. Ebenfalls noch vorbildlich beim Bezahlen der Tankrechnungen: Autofahrer in Remscheid, Bayreuth, Pforzheim, Marburg, Frankfurt an der Oder, Hof, Ulm, Bergisch Gladbach, Lüneburg, Neubrandenburg und Paderborn. Nur 3 Delikte je Station wurden hier gezählt. Weitere Informationen in Tabelle 1

Bundesländer: Berlin und Hamburg Hochburgen, Bayern und Niedersachsen am ehrlichsten

Das Gros der Tankbetrügereien ereignete sich in Nordrhein-Westfalen mit über 23.000 Delikten. Zwischen Rhein und Ruhr trifft es jede Tanke statistisch betrachtet 7-mal im Jahr. Richtig hart trifft es jedoch die Tankstellen in Berlin und Hamburg. Die beiden Stadtstaaten führen das Ranking mit 23 und 11 Delikten pro Station an und sind auf Bundesebene die einzigen Betrugshochburgen.

Die größten Steigerungen im Vergleich zum Vorjahr auf Bundesebene verzeichneten Nordrhein-Westfalen mit +37,1% (1.500 Fälle), Berlin mit +13,3% (828 Fälle), Hessen mit +9,3% (542 Fälle), Sachsen mit +11% (413) und Niedersachsen mit +5,8% (392 Fälle). Einen untypischen Rückgang hingegen verzeichnet die Betrugshochburg Hamburg mit -6,8% (-192 Fälle). Weitere Informationen in Tabelle 2

Aufklärungsquoten und Tätertypen

Positiv stellt sich die Aufklärungsarbeit der Polizei nicht dar. Trotz Kameraüberwachung an den Tankstellen liegt die Aufklärungsquote der angezeigten Tankbetrügereien deutschlandweit bei 43,1%. Jedoch schwanken die Quoten auf Länderebene zwischen 56,5% und 22,3%. Das Ranking führen Hessen (56,5%), Thüringen (54,2%) und Rheinland-Pfalz (53,6%) an. Am Ende finden sich Berlin (22,3%) und Bremen (26,2%).

Auf lokaler Ebene sind die Schwankungen der Aufklärungsquoten in den untersuchten Städten noch größer als auf Bundeslandebene. Besonders gut arbeiten die Ermittler in Trier. Rund 85% der angezeigten Fälle konnten die Beamten aufklären. Ebenfalls gute Arbeit leistet die Polizei in Ulm (81,8%), Celle (78,3%), Remscheid (76,2%), Aschaffenburg, Tübingen oder Reutlingen (alle 75%). Weitere Informationen in Tabelle 1

Grund für die mäßigen Aufklärungsquoten sind Betrüger, die mit gar keinen, gestohlenen oder gefälschten Nummernschildern an die Stationen fahren, tanken und dann flüchten. Hier versagen leider auch die besten Videoüberwachungssysteme. Von der Polizei werden diese Delikte nicht gesondert ausgewertet. Experten schätzen die Anzahl auf über 100.000 Delikte in Deutschland.

Fest steht: Spritklau ist nach wie vor eine Männerdomäne. Von den über 32.890 ermittelten Tatverdächtigen (TV) waren 2012 78% Männer (2011: ebenfalls 78%). Bei Frauen lag die Tatverdächtigen-Quote 2012 wie im Jahr zuvor bei 22%. Ob nun Mann oder Frau, die meisten Sprit-Betrüger – gemessen an der Gesamtzahl der TV finden sich in der Gruppe der 30- bis unter 50-Jährigen mit 46,6%, gefolgt von der betrügerischen „Jungspund“-Fraktion mit 24%. Die betrügerische Pensionärs-Fraktion findet sich mit läppischen 9,7% in den Unterlagen. Fahranfänger scheinen im Bereich Tankbetrug noch grün hinter den Ohren zu sein. 4,7% der Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahre trauen sich, den Tankwart zu betrügen.

Augenscheinlich sind die Betrüger zudem noch sehr faul. Weite Fahrtstrecken sind ihnen ein Graus. Denn über ein Drittel der Tatverdächtigen kommt aus der gleichen Gemeinde, in der die „betrogene“ Tankstelle liegt, immerhin noch 13,8% kommen aus dem Landkreis, 29% aus demselben Bundesland. Nur 8,6% der ermittelten TV sind ausländische Autofahrer.

Hintergrund

Die hohen Benzinpreise machen für immer mehr Menschen das Tanken unerschwinglich. So stiegen die Preise von Superbenzin von 2011 zu 2012 um durchschnittlich 6%, bei Diesel um 4%. In „Heller und Pfennig“ heißt das: Wer etwa im Juni 2011 Super tankte, zahlte rund 1,56€ für den Liter. Zwölf Monate später waren es schon 1,60 €. Bei Diesel ist es ähnlich: Im Juni 2011 waren noch 1,42€ pro Liter zu berappen, ein Jahr später 1,44€ (Quelle: Mineralölwirtschaftsverband e.V.).

Stand: 20. Juni 2013, Alle Angaben ohne Gewähr.

Erhebung der Anzahl der Tankstellen

Für die Erhebung wurden in einer zweimonatigen Recherche bei zahlreichen Polizeidienststellen, den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt die Daten erhoben. Die Angaben zur Dunkelziffer basieren auf Informationen vom Zentralverband des Tankstellen- und Garagengewerbes (ZTG). Die Anzahl der Tankstellen in den Städten und den Bundesländern wurde im Auftrag von auto.de von der Firma LOGIBALL GmbH, TomTom International B.V. erhoben. Gezählt werden u.a. auch Tankstellen an Autohäusern oder Supermärkten und Tankstellen eines Betreibers beiderseits einer Straße werden als zwei Stationen.

*Passau: In den Fallzahlen sind sowohl vollendete Taten als auch solche strafbare Versuchsstadium enthalten. Besonderheit: Aufgriffe der Polizeiinspektion Fahndung Passau im Rahmen der sogenannten Schleierfahndung auf der Bundesautobahn A3 (im Stadtgebiet) mit beinhaltet fließen mit ein.

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